Lebensmittelhersteller unter der Lupe

Im Gespräch mit Rabbiner Spitzer über das Verfahren,
wie und warum Produkte auf die Koscherliste kommen.

Unter der Leitung des Rabbiner Abraham Y. Schwartz gibt das Kashrus Comitee Vienna jedes Jahr den Leitfaden “HaMadrich” heraus, eine mittlerweile über 100-Seiten umfassende Koscherliste mit Produkten, die unter strenger Aufsicht der halachischen Standards, als “koscher” gekennzeichnet werden. Dabei werden bei diesen Produkten besonders die Inhaltsstoffe, die genauen Produktionsschritte sowie die Lieferung beobachtet und kontrolliert. Wir waren im Gespräch mit Rabbiner Spitzer, ein Mitglied des Kashrus Comitee, um mehr über das gesamte Verfahren herauszufinden, wie und warum ein Produkt auf diese Koscherliste kommt.

Benjamin: Rav Spitzer, vielen Dank für Ihre Bereitschaft, das Interview mit uns zu führen. Dieser großartige Kaschrut-Leitfaden kommt jedes Jahr mit einer überarbeiteten Liste von koscheren Produkten heraus. Wie hat das alles begonnen?

Rav Spitzer: Wie ich 1991 nach Wien gekommen bin, hat der Rabbiner Schwartz bereits eine Koscher-Liste mit einigen Produkten geführt, welche lediglich in Österreich produzierte Produkte beinhaltete. Ich bin anschließend dazu gestoßen und seither involviert. Man muss dazu sagen, dass Rabbiner Schwartz bereits damals ein großes Wissen hatte, was die einzelnen Inhaltsstoffe betrifft und wie die genauen maschinellen Herstellungsprozesse funktionieren. Das ist immens wichtig, da man sich mit der Materie genauestens auskennen muss, um in der Lage zu sein, zu entscheiden, ob das Produkt nun in die Koscherliste kommt oder nicht. Vor allem wenn man mit den Herstellern spricht, muss man die richtigen Fragen stellen.

Benjamin: Besteht ein Problem, ein 100%iges BIO bzw. veganes Produkt zu kaufen, welches nicht in der Koscherliste vorkommt? Wenn ja, warum?

Rav Spitzer: Auf jeden Fall ist das ein Problem. In Österreich gibt es, wie in vielen anderen Ländern auch, das Gesetz, Inhaltsstoffe, die unter einem gewissen Prozentsatz in ein Produkt vermischt werden, nicht auflisten zu müssen. So kann beispielsweise ein Produkt als „100% Natürlich” gekennzeichnet werden, obwohl Hersteller tierische Stoffe und Fette (bei Getränken kann das auch Weineinsatz sein) dazumischen. Das haben wir auch sehr oft gesehen, als wir die Firmen begutachteten.

Ein anderes Beispiel kann ich von einem bekannten österreichischen Saft-Hersteller erzählen. Hier geht es darum, dass sie unterschiedliche Saft-Sorten herstellen und von uns auch begutachtet werden wollten. Vor Ort haben wir festgestellt, dass viele Sorten unkoscher sind, aus dem einfachen Grund dass diese Traubensaft beinhalten. Jedoch gibt es auch Sorten, die von den Inhaltsstoffen gesehen aber sehr wohl koscher sein können. Das Problem ist aber ein anderes: In denselben Anlagen, in denen die unkoschere Säften befüllt werden, werden auch die koscheren Säfte befüllt. Das ist insofern ein Problem, da bei uns auch das Gefäß eine wichtige Rolle spielt. Ist das Gefäß unkoscher, beispielsweise wegen weil es mit Traubensaft in Berührung kam, so ist alles andere, was in das Gefäß kommt, auch unkoscher, so lange bis es nicht nach den halachischen Vorschriften gereinigt wurde.

Aufpassen muss man nur bei Naturprodukte, wie zum Beispiel Kürbiskerne oder Haferflocken. Werden sie wirklich so verkauft, wie sie in der Natur vorkommen, besteht kein Problem. Sobald sie aber ein Prozess durchlaufen, wie beispielsweise eine Röstung, gelangen wir wieder an ein Problem. Wurde es mit Öl geröstet? Welches Öl wurde verwendet? Welche Geräte wurden verwendet? Wofür werden diese Geräte noch verwendet? Und so weiter.

Benjamin: Was qualifiziert ein Lebensmittelhersteller, von Ihnen begutachtet zu werden?

Rav Spitzer: In der Regel sprechen wir die Lebensmittelhersteller selber an. Nur selten ist es umgekehrt der Fall. Das bedeutet wir sprechen Sie aktiv an, ob sie ihre Produkte koscher machen wollen. Größere Hersteller kennen sich meistens mit der Thematik aus und sie wissen, worum es geht. Kleinere Hersteller sind oft etwas skeptisch.

Manchmal kommt man aber ins Gespräch. Dann befragen wir die Hersteller zunächst einige grundlegende Fragen. Wenn die Antworten klar sind und passen, leite ich diese den Rabbiner Schwartz weiter und wir fahren zu ihnen in die Fabrik. Eine Voraussetzung für die Begutachtung ist die Bereitschaft für transparenz seitens der Hersteller. Hierbei geht es nicht um die Mengen, sondern um die Inhaltsstoffe und Herstellung. Wir müssen über alle Inhaltsstoffe und den Herstellungsprozess informiert werden. Sollte der Hersteller Produkte dazu kaufen, muss auch das bekannt gegeben werden. Für die Lebensmittelhersteller ist das gesamte Service kostenlos. Auch wenn ihre Produkte von uns als „Koscher” abgestempelt werden und in unsere Liste kommen, bestehen für die Hersteller keine Kosten. Sollte sich jedoch eine Firma entscheiden, ihre als koscher gekennzeichneten Produkte ins Ausland zu exportieren, können Sie von uns ein Koscher Zertifikat beantragen. Dieses Zertifikat wird gegen eine Summe im Jahr ausgestellt. Das Zertifikat haben aber die wenigsten.

Ein Hefe Hersteller, beispielsweise, bezieht von uns jährlich das Koscher Zertifikat. Wir besuchen ihre Produktionsstätte – die gefühlt so groß ist wie eine ganze Stadt – jedes Jahr im Januar, begutachten alle Prozesse und stellen anschließend das Zertifikat für ein Jahr aus.

Wir haben vorhin über den österreichischer Saft- Hersteller gesprochen, bei dem wir auf ein Problem mit der Befüllung gestoßen sind. Sie wollten auch ein Koscher Zertifikat. Unsere Aufgabe war es nun, ihr bestehendes Reinigungskonzept, welches nicht den halachischen Vorschriften entsprach, zu überarbeiten bzw. zu erneuern. So haben wir es tatsächlich geschafft, gemeinsam mit dem Hersteller ein komplett neues Reinigungssystem auf die Beine zu stellen, welches gewährt, dass nach jeder Befüllung das Gefäß mit einer Flüssigkeit und einem speziellen Mittel gereinigt wird. In der Halacha sprechen wir hier von einem Mittel, welches den „Geschmack zerstört”.

Es gibt ein Gesetz, welches besagt, dass sobald ein Hersteller seine Produkte in Israel verkaufen muss, man nicht nur eine Koscher–Genehmigung des internationalen Rabbinats braucht, sondern auch vom Rabbinat des jeweiligen Produktionslandes. Im Fall von Österreich ist Rabbiner Schwartz der Ansprechpartner. Jene Hersteller, die in Israel verkaufen möchten, fragen uns an und bitten um ein Koscher Zertifikat.

Benjamin: Wie oft kontrollieren Sie die Hersteller?

Rav Spitzer: Wir kontrollieren alle Hersteller normalerweise ein Mal im Jahr. Jedoch haben wir eine Vereinbarung mit jedem Hersteller, dass sie uns im Laufe des Jahres über jede Änderung informieren. Sei es eine Änderung der Inhaltsstoffe, in der Beschaffung, Produktion, Aufbewahrung, Abfüllung, Lieferung. Jedes kleine Detail muss kommuniziert und transparent dargestellt werden, damit wir die Kaschrut gewährleisten können.

Benjamin: Wieso sind gewisse Produkte in diesem Jahr „wieder erlaubt”, wie zB Blistex?

Rav Spitzer: Das kann mehrere Gründe haben. Wenn die Informationen nicht mehr so vermittelt werden, wie von uns vorgegeben, oder wenn sie Inhaltsstoffe dazu mischen, die nicht unseren Vorschriften entsprechen, dann müssen wir das Produkt aus der Liste nehmen. Wenn wir nicht zu 100% Transparenz gewährleistet bekommen, können wir die Produkte nicht in die Liste setzen.

Benjamin: Was bedeuten die individuellen Kennzeichen einer Lebensmittelkette, wie zB bei Produkten von Alpro, Barilla oder der Räucherlachs im Hofer, wo nur Produkte mit einer bestimmten Seriennummer koscher sind?

Rav Spitzer: Das ist darauf zurückzuführen, dass diese namenhafte Hersteller mehrere Produktionsstätten nebeneinander stehen haben. Jede Produktionsstätte hat ihre eigene Bezeichnung. Wenn also Barilla in Italien in acht Produktionsstätten ihre Nudeln produziert, kann es sehr gut sein, dass in nur ein oder zwei ihrer Werke nach unseren Vorschriften hergestellt wird. Das führt dann dazu, dass nur die Nudeln mit dem Kennzeichen der jeweiligen koscheren Produktionsstätten erlaubt sind. Dasselbe gilt auch für alle anderen Hersteller.

Benjamin: In wie fern hat die Industrialisierung Ihre Arbeit erleichtert bzw. erschwert?

Rav Spitzer: In Sachen Hygiene ist es tatsächlich so, dass die Industrialisierung unsere Arbeit erleichtert hat. Gesetzlich vorgegebene Temperaturen, mit denen gewisse Geräte nun gereinigt werden, entsprechen den Vorschriften unserer Weisen, um beispielsweise ein Gerät zu “kaschern”.

Erschwert hat die Industrialisierung in dem Sinne, dass kaum mehr Produkte ohne gewisse Prozesse verarbeitet und verkauft werden. Darüber hinaus ermöglicht die Industrialisierung die Herstellung von gewissen Aromen, die in die Produkte hinzugemischt werden. Diese Aromen in ihren Bestandteile zu kontrollieren, ist sehr schwer. Sie stellen daher eine große Problematik in der heutigen Kaschrut dar.

Darüber hinaus erwerben heutzutage große Firmen oftmals kleinere Hersteller und gewisse Prozesse werden ausgelagert. So sind es oft die kleinen, aufgekauften Produzenten, die die Firmen beliefern. Die Firmen sind dann lediglich die Verpacker bzw. Abfüller.

Damals waren viele der Hersteller in Österreich stationiert und haben ihre Produkte selber hergestellt. Heute werden die meisten Produkte, die wir in Österreich in den Supermärkten sehen, im Ausland produziert und geliefert.

Benjamin: Mittlerweile sind tausende Produkte in Ihrem Leitfaden enthalten. Kann man Ihnen Vorschläge zu neuen Produkten schicken? Haben Sie vor, diesen in den nächsten Jahren noch auszuweiten?

Rav Spitzer: Unser System ist so ausgerichtet, dass wir immer wieder neue Firmen kontrollieren. Wenn wir merken, dass von einer Gruppe eine Anfrage zu einem bestimmten Produkt kommt, dann fragen wir natürlich auch bei der Firma an, ob ein Interesse besteht, zu kooperieren.

Grundsätzlich kann ich aber sagen, dass wir bei Produkten, die milchige Inhaltsstoffe beinhalten, die Kontrolle aufgrund von “Chalaw Akum” generell ablehnen.

Die wenigsten sind aber an einer Zusammenarbeit interessiert, da sie nicht bereit sind, alle Karten aufzudecken oder die Änderungen in ihrer Produktion durchzusetzen.

Benjamin: Welche Produkte darf man ohne “Hechsher” kaufen?

Rav Spitzer: Man muss hier immer genau aufpassen. Es kommt nicht immer nur auf das Produkt selbst an. Die Verarbeitung spielt ebenso eine wichtige Rolle, ob das Produkt koscher ist oder nicht. Ein gutes Beispiel ist Traubenzucker. Unverarbeiteter Traubenzucker als solches ist kein Problem. Wenn der Traubenzucker aber gepresst wird, dann stoßen wir auf ein großes Problem, da hierfür meistens ein Bindemittel aus Fetten verwendet wird.

Eine andere Frage: Zucker ist koscher? Die Antwort: Ja, normaler Zucker ist koscher! Der gleiche Zucker in Würfelform? Die Antwort: In Österreich, Ja! In anderen Ländern haben wir bereits erlebt, dass der Würfelzucker nicht erlaubt ist. Hier wird zwar kein Bindemittel verwendet. Wir stoßen aber auf ein anderes Problem: Das Messer, das die Würfel in ihre Form schneidet wird in manchen Fällen mit tierischen Fetten beschmiert, um die Gleitfähigkeit zu gewährleisten. Ich glaube aber nicht, dass dieses Problem aktuell noch relevant ist, jedoch stießen wir auf solche Fälle in der Vergangenheit.

Bei Produkten, wie bei Birkenzucker, ist es so, dass die großen Firmen oft von kleinen Bauern beliefert werden. So kann es sein, dass der Birkenzucker, den es im Handel gibt, bei einem Bauer zuhause hergestellt und der namenhaften Firma geliefert wird. Solche

Produktionen können wir natürlich nicht als Koscher zertifizieren.

Ich erzähle gerne noch eine kleine Geschichte: Ein Bekannter hat mich gebeten, einen Apfelsaft zu kontrollieren, der in einem Dorf von einem Familienunternehmen hergestellt wird. Er war fest davon überzeugt, dass dieser Apfelsaft erlaubt ist, da sie das fast schon händisch erstellen. Wir sind gemeinsam dort hin gefahren und ich habe mir das angesehen. In der Tat war der Herstellungsprozess ein ganz natürlicher. Oben lagen die gewaschenen Äpfel, unten tropfte der Saft in ein Behälter. Ich blieb noch einige Stunden vor Ort und beobachtete den Prozess. Mir fiel nichts auf. Jedoch kam dann die Überraschung. Ich sah, wie der Herr die Flaschen auf den Tisch ordnete und anfing, sie an die Nachbarn zu verkaufen. Er bückte sich und ich sah, wie er ein Mittel auf einem Teelöffel hinein warf und den Saft mischte. Ich fragte sofort, was das war.

Die Antwort: Wir kennen alle das Phänomen, das auftaucht, wenn wir beispielsweise frisch gepressten Orangensaft länger unberührt stehen lassen. Ein Teil setzt sich am Flaschenboden ab. Dort befinden sich alle wichtigen Vitamine, Mineralien und Nährstoffe, während sich im oberen Teil lediglich das Wasser, welches ansonsten in der Frucht oder dem Gemüse enthalten ist, absetzt. Um diese Trennung zu verhindern, mischt er ein gewisses tierisches Mittel hinzu! Das war auch schon das Ende meiner Kontrolle. Der Apfelsaft war natürlich dadurch nicht erlaubt.

Benjamin: Rav Spitzer, vielen Dank für das interessante Gespräch mit Ihnen!

© LeChaim # 13 & #14 (2020)

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